Klo-fixiert und kompliziert: Morbus Crohn und die Nebenwirkungen
Herz und Kreislauf Krämpfe, Medikamente, Durchfälle oder Verstopfung, immer auf der Suche nach dem nächsten WC – falls man überhaupt noch rausgeht, denn die Dauererschöpfung ist lähmend. Das sind die Eckdaten eines Lebens, wenn man einen Crohn-Schub hat.
Wer bereits mit der Diagnose lebt, hat zumindest eine Legitimation, mit der man seinen Mitmenschen eine Erklärung geben kann. Auf Verständnis zu hoffen ist eher vergeblich. Die Details der chronisch entzündlichen Darmerkrankung sind meist nicht bekannt. Morbus Crohn zählt zu den seltenen Erkrankungen und abgesehen davon, geht es dabei um den grauslichen Stoffwechsel.
Kein Thema für sexy Smalltalk
Dabei wäre genau der wichtig. Wie soll man denn sonst den anderen mitteilen, warum Fortgehen mit gemütlichem Essen zu einer logistischen Herausforderung wird (Klo? Essen? Bauchschmerzen?), warum man antriebslos und erschöpft herumhängt( Nein, das war keine lange Partynacht!) und der Gewichtsverlust nicht durch eine übertriebene Diät oder Magersucht verursacht wurde.
„Aber man sieht es dir nicht an!?“
Ein Klassiker und der Moment, wo ich mir wünsche, statt einem Passfoto ein Bild von meiner letzten Koloskopie bei mir zu haben. Der Crohn sitzt medizinisch gesehen im Verdauungstrakt und das ein Leben lang. Seine Nebenwirkungen sind ausufernd und betreffen das gesamte soziale Umfeld. Als PatientIn hat man so zusätzlich die mühsame Herausforderung, die Umwelt aufzuklären und anzuleiten.
Auch wenn man den Crohn im Außen nicht auf den ersten Blick sieht: Er ist dennoch da und tut weh, fallweise unerträglich. Und die Schmerzen sind nicht auf den Körper beschränkt: Es tut auch weh, wenn man mit Unverständnis konfrontiert wird. Zum Beispiel mit der der Unterstellung, ein Hypochonder und Sensibelchen zu sein, sich das alles nur einzubilden und, im Falle eines längeren Krankenstandes oder einer Berufsunfähigkeitspension, ein Sozialschmarotzer zu sein.
Was man sieht, kann man begreifen. Wenn sich die Krankheit aber primär im Inneren abspielt bzw. da, wo man niemanden gern hinschauen lassen will – wie soll man da auf Verständnis hoffen können, speziell dann, wenn es sich um eine eher unbekannte Erkrankung handelt?
Ich lebe seit 2005 mit der Diagnose Morbus Crohn
Mittlerweile habe ich mehrere Schübe und insgesamt fünf Crohn-bedingte Operationen hinter mir. Bei der letzten wurde der gesamte aufsteigende Dickdarm entfernt. Aber man sieht im Außen dennoch kaum etwas davon und sogar die Narbe ist minimal, außen. Innen drinnen schaut es hingegen anders aus.
Ich lebe mit Hilfe starker Medikamente, die unter anderem eine sogenannte doppelte Immunsuppression bewirken. Meine fehlgesteuerte Immunabwehr wird ausgeschaltet, der Crohn geknebelt. Damit verbunden sind naturgemäß teils heftige Nebenwirkungen. Unter anderem wird man wird für diverse andere Krankheiten anfälliger, speziell Infektionen.
Klar versucht man das zu vermeiden, aber es ist immer ein Abwägen zwischen einem Leben unterm Glassturz und einem Risiko. Nach jedem Händedruck zum Desinfektionsmittel zu greifen, kommt nicht gut an. Genauso wenig kann man sich eine „Häuslphobie“ leisten – das Ablehnen der Benutzung öffentlicher Toiletten. Stattdessen lernt man sehr schnell, wo man gepflegte, stille Örtchen findet und wie man den Bussi-Bussi-Gruß charmant umgeht („Sorry, aber ich hab eine Fieberblase“).
Durch den Crohn und die Medikamente ist man im Schubfall dauernd müde – kein Wunder, ein häufiges Symptom sind heftige, anhaltende Durchfälle. Da bekommen die stärksten Knie Puddingcharakter. In weiterer Folge wird Fortgehen zur Mühsal. Egal, ob beruflich oder privat, man braucht eine gute Logistik, wenn man seine Krankheit und sein (altes) Leben miteinander organisieren will. Insofern ist es auch eine Unterstellung wenn man Kranken nachsagt, nun viel Zeit zu haben. Die geht mit dem Management der Erkrankung drauf und wenn schon eine simple Grippe eine Strapaze ist, dann kann man sich vorstellen, dass eine chronische Erkrankung des Verdauungstraktes kein All-Inklusive-Urlaubsfeeling auslöst.
Spleenig, introvertiert, unkooperativ …?
Nein, ich bin einfach krank und auch nur ein Mensch, der mit dem Dasein fallweise überfordert ist. Speziell, wenn einen das Dasein überfordert. Zugleich habe ich großes Verständnis für meine gesunde Umwelt – wie sollen sie auch nur ansatzweise nachvollziehen können, wie es mir gerade geht, innen drin? Erschöpfung kann man an den Augenringen sehen, aber auch das ist nur ein kleines Zeichen. Die Schmerzen und die Narben sind im Inneren gut versteckt, die zeigt man nicht gerne her.
Morbus Crohn, generell jede chronische Erkrankung, hat zahlreiche soziale Nebenwirkungen und erfordert viel Verständnis:
- Bei den Angehörigen, die von heute auf morgen mit einer Diagnose genauso überfordert sind, wie der Patient selbst.
- Bei den Freunden, die erst lernen müssen, mit dem beeinträchtigen Kumpel umzugehen und, was manche einfach nicht schaffen, das Zusehen beim Leiden und das Ertragen der damit verbundenen Launen.
- Bei den Ärzten, die beim Aufnehmen der Symptome länger brauchen, als es im System vorgesehen ist, und wo man sich auf solche Erkrankungen explizit spezialisieren muss, damit man weiß, wonach man gezielt fragt und was man dann mit der Erkenntnis tut.
- Beim Arbeitgeber und bei den Kunden, die mit dem Wegfall der Arbeitskraft finanziell und jobmäßig heftig herausgefordert werden.
- Beim Gesundheits- und Sozialsystem, dessen Bürokratie für komplizierte, lange Erkrankungen nach wie vor viel zu starr, unflexibel und teilweise komplett am Leben vorbei orientiert ist.
Vogel-Strauß-Prinzip oder Münchhausen-Trick?
Den Kopf in den Sand stecken bringt nichts, man kann den Crohn nicht wegdenken. Wenn er da ist, dann ist er gekommen, um zu bleiben. Angst vor der Diagnose zu haben, ist verständlich. Aber es ist nicht hilfreich, sich deswegen vor den Untersuchungen zu drücken. Der Crohn taucht ja nicht erst am Papier auf, bei der Auswertung der Ergebnisse. Er ist ja schon da und tobt sich aus.
Wenn man sein Dasein bestätigt bekommt, dann hat der Feind einen Namen und man kann was tun. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an guten und hilfreichen Medikamenten und die Forschung wird intensiviert, jedes Jahr gibt es neue Erkenntnisse und Hilfen.
„Sie werden mit, aber nicht an der Krankheit sterben.“
Das hat mir der Arzt gesagt, der mir vor vielen Jahren die Diagnose mitgeteilt hat. Damals war es ein großer Schock. Ich habe lange gebraucht, um den ganzen Umfang zu verstehen und zu akzeptieren, dass man dieses Problem nicht mit ein paar Tabletten oder einer OP lösen kann.
Ich habe auch zahlreiche alternative Heilmethoden ausprobiert. Die einen mit mehr, die meisten mit sehr geringem Erfolg. Aber bei einigen Methoden war dann doch auch hilfreiche Unterstützung dabei, mit der ich mir das Dasein um das gewisse Quentchen besser gestalten konnte, sodass das Durchhalten zum Aushalten war.
Man kann lernen mit Morbus Crohn zu leben, auch wenn es fallweise mühsam ist. Aber wer hat denn schon ein wirklich komplett müheloses Dasein? Ich kenne zumindest den Grund für einige meiner Probleme und hab mir meine Münchhausen-Tricks kreiert, mit denen ich mich an miesen Tagen aus dem Sumpf zu ziehen versuche. Für die anderen Tage habe ich Schilder, Infos und Umleitungen entwickelt, damit ich meine Ruhe habe, ohne meine Umwelt vor den Kopf zu stoßen. Ein Kompromiss, ganz klar, aber es funktioniert.
Man lernt kreativ und situativ zu leben
Das braucht man, denn die Regie-Anweisungen kommen von sehr chaotischer Seite, der Crohn ist nicht für Logik bekannt. Aber dafür lernt man auch, die guten Zeiten intensiver zu nutzen, lernt über seine Situation zu lachen, und lernt neue Menschen kennen, mit denen man das Grauen gemeinsam bunt färbt. Lebensgraffitis, symbolisch ins Dasein gesprüht, damit der Nebel ein hübsches Make-Up trägt. Dann geht's leichter.
„Die Wahrheit tut oft weh, aber die Ungewissheit bringt einen um.“
Das habe ich dieser Tage auf Twitter gefunden und zumindest was die Diagnose Morbus Crohn betrifft, stimmt dieser Satz zu 100 Prozent. Man kann lernen, damit zu leben, man kann sogar sehr alt werden, und wenn ein Schub zu Ende geht, dann spürt sich die Remission, die Ruhephase der Erkrankung, wie ganz normales Leben an. Je besser man seinen Crohn kennt, desto besser kann man damit umgehen. Wenn man sein Wissen dann anderen mitteilt, dann tut man sich und den anderen einen großen Gefallen.
Es ist Morbus Crohn, man stirbt nicht dran.
Man lebt nur weniger. Aber in den Pausen intensiver.
Weitere Infos und Linktipps, Cartoons rund um das Leben mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung sowie Leseproben aus meinem Buchmanuskript „Lieber Herr Crohn“ finden Sie auf meinem Blog: http://LieberHerrCrohn.at