Nicola Lins
geboren 1976 in Vorarlberg, arbeitet als Kurstrainerin für arbeitslose Jugendliche und leitet eine Selbsthilfegruppe für Rheumopatienten.

Wie verliefen Ihre Kindheit und Jugend?

Meine Eltern sorgten sich natürlich mehr um mich als um meine Geschwister und mussten immer wieder Lehrer aufklären, die glaubten, ich würde nur simulieren. In der Schule durfte ich nicht turnen, war viel bei Ärzten und zu Physiotherapien und bekam regelmäßig Medikamente, von denen mir schlecht wurde. Aber als Außenseiterin habe ich mich nicht gefühlt, es gab ein gutes Klassenkollektiv und damals hatte ich ja zum Glück noch keine Deformierungen an den Knien.

Wie kam es dann zur Diagnose?

Mit 4 Jahren schwollen zum ersten Mal meine Knie an und schmerzten. Diese Erscheinung verschwand nach ca. einen halben Jahr und wiederholte sich dann alle zwei Jahre. Im Alter von 12 hatte ich den letzten Schub dieser Art und es bestand die Hoffnung, mit dem Ende der Pubertät völlig von den Entzündungen befreit zu sein. Leider bekam ich mit 18 Jahren aber wieder eine Schwellung am Knie und erlebte einen recht aggressiven Schub, der auf weitere Gelenke übersprang, mehrere Operationen an beiden Knien nötig machte und bleibende Deformierungen nach sich zog. Jetzt waren alle typischen Symptome im Spiel: ein erhöhter Entzündungswert im Blut, Rheumaknoten usw.

Konnten Sie einer Ausbildung bzw. dem Beruf Ihrer Wahl nachgehen?

Ja, meine Ausbildung geschah in einer beschwerdefreien Zeit. Ich war bereits am  Arbeitsplatz, als ich meine Diagnose bekam. Ich konnte sehr schlecht laufen und litt unter starken Schmerzen. Kollegen warfen mir trotzdem vor, zu simulieren. Scheinbar fällt es den Mitmenschen gar nicht auf, dass ich eine 70-prozentige Gehbehinderung habe. Nach einer Umstellungsosteotomie, bei der Knochen vom Oberschenkel entfernt, durch einen Keil ersetzt und wieder zusammen geschraubt werden, brach leider mein Oberschenkel an der obersten Schraube und ich brauchte eine unglaublich lange Reha, durfte das Bein überhaupt nicht belasten. Glücklicherweise ließ mein damaliger Chef mich täglich beim Postfahrer mitfahren, sodass ich wenigstens ein paar Stunden im Büro sitzend arbeiten konnte und unter Leute kam.

Wie sieht Ihre Therapie aus und wie kommen Sie mit ihr zurecht?

Ich nehme seit der Diagnose natürlich regelmäßig Tabletten, stellte mich im Jahr 2000 für die Erprobung von einem damals in Österreich neu eingeführten Medikament zur Verfügung, denn zu dem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr laufen, es waren mittlerweile alle Gelenke entzündet und die Therapien halfen eher schlecht als recht. Drei Monate später konnte ich dann fast klettern, bin wieder Rad gefahren und gelaufen, ganz spektakulär. Ich konnte Cortison nach kürzester Zeit absetzen, auf jegliche Schmerzmittel verzichten und musste nur noch einmal pro Woche subkutan ein Medikament spritzen.

Hatten Sie einen Kinderwunsch?

Ja, nur schien es unmöglich, weil ich ohne Medikamente keinen ausreichend stabilen Gesundheitszustand erreichen konnte. Zufällig lernte ich Frau Prof. Dr. Monika Østensen kennen, die in Bern ein Mütterberatungszentrum für rheumakranke Frauen führt. Sie erklärte, dass ich durchaus ein Kind bekommen könne, wenn ich das Medikament bei Eintritt der Schwangerschaft einfach absetzte. Es hatte mich körperlich ja in eine so gute Verfassung gebracht, dass ich tatsächlich ziemlich schnell schwanger geworden bin. Der weibliche Körper mobilisiert in diesem besonderen Zustand jede Menge erhaltende Kräfte.

Wie verliefen Schwangerschaft und Geburt?

Leider habe ich zu den drei Prozent der Rheumapatientinnen gehört, denen es in der Schwangerschaft nicht gut geht. So stand ich immer wieder vor der Entscheidung, ob ich meine Gesundheit oder die des Kindes mit der Medikamenteneinnahme gefährde. Unser Sohn wurde dann zwei Wochen früher per Kaiserschnitt geholt, da ich keinerlei Geburtsposition einnehmen konnte. Ihn lange zu stillen blieb mir wegen der bald darauf wieder beginnenden Schmerztherapie auch verwehrt. Aber er ist heute fünf Jahre alt und gottseidank gesund.

Wie gestaltet sich der Alltag mit Ihrer Familie?

Leider hatte das Medikament nach dieser Schwangerschaft seine Wirkung für mich verloren, auch andere Medikamente schlugen nicht gut an und mein Zustand wurde nicht wieder wie vorher. Diese Einbuße war mir das wundervolle Geschenk meines Kindes aber wert. Ich bin gut in meine Familie integriert. Außerdem haben wir ein barrierefreies Haus gebaut, einen ebenerdigen Bungalow mit nur einem Geschoß, begehbarer Dusche, WC-Sitzerhöhung, Rampe am Eingangsbereich, erhöhtem Bett usw. So kann ich ein halbwegs autonomes Leben führen.