Empowerment – Selbsthilfe im Wandel der Zeit
Diabetes Selbsthilfegruppentreffen, in denen sich gegenseitig bemitleidet wird, sind längst nicht mehr en vogue. Schon der Begriff Selbsthilfe an sich hat ein uncooles, verstaubtes Image, mit dem sich vor allem junge Menschen mit Diabetes nicht gern identifizieren möchten.
„Empowerment“ ist das neue Schlagwort! Oder anders ausgedrückt: Selbsthilfe 2.0. Das ist für uns nichts Neues.
Selbsthilfe leistet gerade in Zeiten vieler Umstrukturierungen im Gesundheitssystem weit mehr als im Kreis sitzen und jammern. Auch beim Empowerment geht es um nichts anderes, als um die Hilfe zur Selbsthilfe. Darum, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, trotz und mit dem Diabetes.
Ich selbst lebe seit 40 Jahren mit Diabetes Typ 1. Früher galt es, das Leben nach der Diabetes-Therapie auszurichten, vor allem die Ernährung war von ständigen Verboten und Verzicht geprägt. Der Wissensstand über diese chronische Erkrankung war damals auch bei Ärzten auf dem Land noch nicht sehr hoch, so war für mich die Selbsthilfegruppe ein wichtiger Anlaufpunkt, um MEINEN Weg mit dem Diabetes zu finden.
Dank moderner Medikamente und technischer Hilfsmittel kann die Therapie heutzutage den individuellen Lebensumständen angepasst werden. Das ist eine enorme Verbesserung der Lebensqualität für Betroffene.
Jedoch bedeutet die Möglichkeit der individuellen Diabetes-Therapie besonders viel Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Denn nur wenn ich mich auskenne, ich gut informiert bin über Möglichkeiten der Einflussnahme auf meine persönliche Therapie und ich mich sorgfältig beobachte, kann ich gemeinsam mit dem behandelnden Arzt die bestmögliche Therapie für mich herausfinden.
Empowerment ist die Befähigung Betroffener, Möglichkeiten zu erkennen und Ressourcen zu nutzen. Gut informiert zu sein und Eigenverantwortung zu übernehmen, hilft dabei, die Lebensqualität trotz chronischer Erkrankung wesentlich zu verbessern und die leidvollen Folgeerkrankungen wie Erblindung, Amputationen, Nierenleiden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu vermindern oder sogar zu vermeiden.
Erfahrungsaustausch über Lebensstiländerungen, Therapieerfahrungen, individuelle Problematiken bei Menschen mit Diabetes, Tipps und Fragestellungen für Arztgespräche, Diabetes-Schulungen etc. – kurz: die Vermittlung von Betroffenenkompetenz in enger Zusammenarbeit mit Diabetes-Experten ist eine tragende Säule im heutigen Gesundheitssystem.
Überfüllte Arztpraxen und klinische Ambulanzen und nur wenige Diabetes-SpezialistInnen im ländlichen Raum machen die Selbsthilfearbeit immer unverzichtbarer. Oft fehlt in unserem System einfach die Zeit, auf individuelle Bedürfnisse und/oder Problematiken einzugehen.
Hier greift die Selbsthilfe mit Erfahrungswerten, in allen Altersgruppen! Während sich die ältere Generation gern zu gemeinsamen Aktivitäten, wie Wanderungen oder Café-Besuch treffen, tauschen sich die Jüngeren eher über das Internet in Facebook, Twitter oder Blogs aus. Alles darf – nichts muss!
Leider wird die Selbsthilfe gerade bei der schnellen und unverbindlichen Informationsbeschaffung im World Wide Web oft unterschätzt. Individuelle Beratung und persönliche Zuwendung kann das Internet jedoch im Gegensatz zur Selbsthilfegruppe nicht bieten.
Seit Jahrzehnten kämpfen Selbsthilfeorganisationen in Österreich um die Anerkennung der Selbsthilfe als vollwertige Ergänzung des Gesundheitssystems in Politik, Sozial- und Gesundheitswesen sowie besonders um die Basisfinanzierung der Selbsthilfe. Weitläufig herrscht immer noch die Meinung vor, der Diabetiker sei selber Schuld an seiner Erkrankung.
Mir als Vorsitzende der Österreichischen Diabetikervereinigung ist es deshalb sehr wichtig, immer wieder und weiter darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die Selbsthilfe zur kontinuierlichen Betreuung und Motivation von Betroffenen beiträgt und wie wenig die Selbsthilfe dabei in politische Entscheidungsprozesse eingebunden und finanziell abgesichert wird.